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«Das gehört zu meinem Alltag» Artikel vom 22.8.2017 Zuger Zeitung

«Das gehört zu meinem Alltag»

INTERNATIONALE HILFE ⋅ Der Baarer Severiyos Aydin reist regelmässig in die Kriegsgebiete nach Syrien und in den Nordirak. Letzte Woche konnte er Grosses feiern: die Eröffnung einer Schule und eines Bildungszentrums.

Vor vier Jahren gründete der Zuger Severiyos Aydin (31) das Hilfswerk Aramaic Relief International. Der Fokus liegt auf humanitärer Hilfe für notdürftige Menschen, Kriegsflüchtlinge und Gewaltopfer. Nun wurde das Einsatzgebiet von Syrien und dem Nordirak in den Südsudan ausgeweitet. Die Arbeit hat in der Zwischenzeit auch für internationale Aufmerksamkeit gesorgt. Aydin und seine Mitstreiter konnten eben eine Schule in Homs und ein Bildungszentrum in Aleppo eröffnen.
Severiyos Aydin, wo halten Sie sich gerade auf?
Ich bin in Aleppo, Syrien. Unser Schweizer Hilfswerk ARAMAIC RELIEF International baut hier seit viereinhalb Jahren humanitäre Hilfsprojekte auf. Während meines Aufenthalts reise ich erneut durch das kriegszerrüttete Land, besuche Partner, koordiniere laufende Projekte und plane weitere Entwicklungsprogramme für die kriegsleidenden Menschen. Die Höhepunkte sind die Eröffnungen unserer Schule in Homs und des Bildungszentrums in Aleppo.
Es ist Ihre zweite Reise in das Krisengebiet in kurzer Zeit.
Zwei Wochen, bevor ich nach Syrien gereist bin, war ich im Nordirak. Dort verteilten wir zehn Tonnen Hilfsgüter und Lebensmittelpakete für Rückkehrfamilien nach Mosul und Umgebung. Nun stehen wichtige Programme in Syrien an. Ich bin regelmässig selbst vor Ort.
Wie ist Ihr eigener Bezug zu dieser Region?
Ich bin Aramäer, eine christliche Minderheit, vertreten in Syrien, dem Irak und der Türkei. Ich habe Freunde und Verwandte in Syrien. Der Sitz unseres syrisch-orthodoxen Kirchenoberhauptes ist in Damaskus. Meine Urgrosseltern sind Überlebende des Völkermords von 1914 und 1915 an den Christen in der Türkei. Heute finden erneut Gräueltaten an Christen und anderen Minderheiten statt. Ich kann nicht tatenlos zu sehen. In dieser schweren Zeit sehe ich es als meine Pflicht, meinen Geschwistern in Syrien und im Irak beizustehen.
Wie gehen Sie persönlich mit der Situation vor Ort um?
Das Leid und die Zerstörung, die man antrifft, übersteigen jegliches Vorstellungsvermögen. Keine Bilder in den Nachrichten, keine Filme und keine Bücher können das beschreiben, was hier abgeht. Noch schlimmer sind die Geschichten der Menschen. Seit viereinhalb Jahren gehört das alles zu meinem Alltag. Dank meiner mentalen Stärke und meinem Glauben kann ich gelassen bleiben und mich professionell auf die Arbeit konzentrieren.
Haben Sie manchmal Angst?
Angst nicht, aber Respekt. Wenn man in Syrien unterwegs ist, ist man überall stets einer unmittelbaren Gefahr ausgesetzt. Zudem sind ausländische Entwicklungshelfer ein begehrtes Entführungsziel. In den von der Regierung kontrollierten Gebieten, wo die meisten Binnenflüchtlinge sind, ist es relativ sicher. In der Umgebung von Homs und in Aleppo hatte ich mehrmals grosses Glück. Dank lokalen Freunden und Partnern und sorgfältigen Vorbereitungen konnten wir bis heute Schlimmstes verhindern.
Was motiviert Sie, sich für Menschen zu engagieren, die so weit weg von uns leben?
Die Menschen sind uns nicht so fern. Die Arbeit ist mit unzähligen Hürden und Hindernissen verbunden. Zudem machen es die Gefahr, die ständigen Kämpfe und die Sanktionen nicht einfacher. Ich helfe aus Leidenschaft und Nächstenliebe. Mein Vertrauen setze ich auf Christus. Der Vorstand und das Umfeld unterstützen meine Arbeit stark. Das gibt mir Kraft. Die grösste Motivation erfahre ich von den Menschen vor Ort. Wenn man die positiven Auswirkungen – speziell auf Kinder – sieht, vergisst man alle Strapazen.
Was hat es mit dem Schul­projekt auf sich?
Vor anderthalb Jahren haben wir angefangen, unsere erste Schule in Homs zu bauen. Rund 220 Kinder und Jugendliche sollen bereits nächsten Monat den Unterricht besuchen können. Die Schule wurde in Zusammenarbeit mit der syrisch-orthodoxen Kirchengemeinde fertiggebaut. Letzte Woche feierten wir die Eröffnung. In Aleppo eröffneten wir letzte Woche ein Bildungszen­trum. Dort bieten wir verschiedene Sprach- und Computerkurse für Kinder und Erwachsene an.
Woher kommen die finan­ziellen Mittel?
Zu den Unterstützern gehören private Spender, Stiftungen, Unternehmen, Kirchen, Vereine, Gemeinden und Erlöse aus Veranstaltungen. Unser Fundraising-Team kümmert sich um Spendenaktionen und pflegt Kontakte.
Gibt es weitere Projekte?
Ja, wir renovieren ein Betreuungszentrum in Aleppo, damit pflegebedürftige Menschen dort wieder wohnen können. In Homs lancieren wir diesen Monat Renovationsprojekte von Wohnungen für Rückkehrfamilien. Im Nordirak möchten wir Rückkehrfamilien beim Wiederaufbau unterstützen. Seit Februar helfen wir neu auch im Südsudan.
Was konnten Sie bisher mit dem Hilfswerk erreichen?
Rund 160 000 Menschen konnten wir unterstützen und zirka 250 Hilfsgüterverteilungen realisieren. Wir haben auch internationale Aufmerksamkeit erfahren und wurden dieses Jahr nach Washington zum Weltkongress für verfolgte Christen eingeladen. Letztes Jahr hielt ich im Europäischen Parlament eine Ansprache und sogar einen Vortrag im Vatikan für die Schweizer Garde.

http://www.zugerzeitung.ch/nachrichten/zentralschweiz/zug/das-gehoert-zu-meinem-alltag;art9648,1087649