Allgemeine Lage im Libanon
Die Flüchtlingssituation im Libanon ist bisher am schlimmsten. Das Land hat die höchste Anzahl syrischer Flüchtlinge, man spricht von über 1,3 Millionen. Anders als in der Türkei, Jordanien oder dem Irak gibt es im Libanon keine Flüchtlingslager. Wer hier ankommt, ist auf sich selbst gestellt. Viele Flüchtlinge sind in Schulen, Kellern, in selbst gebauten Zelten oder bei lokalen Bürgern untergebracht. Andere wiederum finden Platz in den von Kirchen und Klöstern zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten, jedoch sind diese schon längst überfüllt. Die allgemeine Situation im Libanon ist sehr instabil und zurzeit stark vom syrischen Konflikt geprägt. Es kommt wiederholt zu
bewaffneten Auseinandersetzungen, speziell in den libanesisch-syrischen Grenzregionen. Ebenfalls besteht eine ständige Gefahr von terroristischen Akten gegen politische und gesellschaftliche Einrichtungen. Gerade diverse Stadtviertel Beiruts waren in letzter Zeit vermehrt Ziele von Bombenanschlägen, wie das jüngste Attentat vom 19. November 2013 auf die Iranische Botschaft in Beirut zeigt. ARAMAIC RELIEF befand sich zwei Wochen davor in direkter Nähe dieses Ortes. Die erhöhte Präsenz der libanesischen Armee in Beirut war für uns kaum übersehbar. Auch ausserhalb auf allen Zufahrtsstrassen wurde man an den Militär-Check-Points regelmässig angehalten und kontrolliert.

 

Hilfsprojekte Libanon
Am 1. November 2013 um 14:25 Uhr landete ich in Beirut und wurde gleich von meinem jordanischen Kollegen und von Pfarrer Sharbel, unserem libanesischen Kollegen, herzlich empfangen. Dank der guten Vorbereitung konnten wir gleich mit unseren Hilfsprojekten starten. Wir planten, an drei verschiedenen Auffangstationen, welche von den lokalen Kirchengemeinden koordiniert werden, Hilfsgüter wie Lebensmittel und Decken an die bedürftigen Familien zu verteilen. Zwei Verteilungen führten wir erfolgreich in zwei verschiedenen Stadtvierteln von Beirut durch. Die dritte und grösste Verteilung fand in Zahle statt, die Hauptstadt der Bekaa-Ebene, 30 km von der syrischen Grenze entfernt.
Trotz unseren beschränkten finanziellen Mitteln haben wir es dennoch geschafft, gesamthaft rund 150 notdürftige Familien (ca. 650 Flüchtlinge) zu unterstützen. Jede Familie erhielt ein Lebensmittelpaket mit Essensvorräten für ca. einen Monat und zwei grossen Wärmedecken für den Winter. Zudem haben wir drei schwerkranke Flüchtlinge medizinisch unterstützt, indem wir die finanziellen Mittel für die akute Behandlung bereitgestellt haben. Des Weiteren konnten wir mit der Unterstützung unserer lokalen Partner für diverse Flüchtlingsfamilien eine langfristige Unterkunft sicherstellen. Ein Flüchtling hat sogar eine Arbeitsstelle bei einem unserer Lebensmittellieferanten erhalten.

 

Erlebnisse und Schicksalsschläge
Die materielle Unterstützung ist das eine, mit den Flüchtlingen zu sprechen und ihnen zuzuhören das andere. Während den Verteilungen führten wir mit vielen Syrern lange Gespräche, sie schilderten uns ihre Geschichten über die Flucht, über das Leben in Syrien, über die Angst und ihre Träume. Sie freuten sich sehr über unsere Anwesenheit und waren unendlich dankbar, es gäbe ihnen viel Kraft und Zuversicht wenn sie Menschen sehen, die von weither reisen, um sie zu unterstützen und mit ihnen zu sprechen. Es war, als ob sie endlich eine riesen Last loswerden konnten. Aber nicht alle schafften es, uns ihre Erlebnisse zu schildern, zu tief liegt ihr Schmerz. Ihr Schweigen und der erstarrte Blick ins Leere reichten aus, um uns klar zu machen, welche Schicksalsschläge diese Menschen erfahren mussten.
Sie erzählten uns…

„Mein Sohn war vor dem Haus und spielte mit Freunden, plötzlich schlug in direkter Umgebung eine Bombe ein. Er wurde von Splitter am Kopf getroffen und lag blutüberströmt auf dem Boden. Die Ärzte hatten wenig Hoffnung, doch er überlebte! Nach diesem Vorfall beschloss ich mit meiner Familie in den Libanon zu fliehen. Mein Sohn hat heute immer noch einen kleinen Splitter im Kopf, der dringend entfernt werden muss, doch für eine solch komplexe Operation fehlt mir das nötige Geld. Er hat seitdem eine körperliche Behinderung und sein Gesundheitszustand verschlechtert sich allmählich, eine Notoperation ist dringend nötig!“

 

„Als wir hörten, dass sich bewaffnete Gruppen unserem Dorf näherten, überlegten wir nicht lange, packten die wichtigsten Sachen ein und flüchteten noch in derselben Nacht, wie viele andere Dorfbewohner, Richtung Libanon. Seit Monaten schon mangelte es an Nahrungsmitteln. Die Preise für die wenigen, verfügbaren Lebensmittel waren seit dem Ausbruch des Krieges stetig gestiegen, zum Teil bis auf das Zehnfache. Wir konnten uns fast gar nichts mehr leisten, deshalb stand unser Entschluss zu flüchten sehr schnell fest. Später hörten wir von Bekannten aus dem Dorf, dass fast das gesamte Quartier, inklusive unserem Haus, heute nur noch ein Trümmerfeld ist.“
„Bewaffnete Gruppen hatten nach der Stürmung unseres Dorfes zahlreiche Bewohner als Geiseln genommen. Sie gingen von Haus zu Haus und nahmen ganze Familien mit, um sie später als Schutzschilder einzusetzen. Ich konnte zum Glück rechtzeitig mit meiner Familie fliehen. Wir fuhren mit einem total überfüllten Bus Richtung libanesische Grenze. Während der ganzen Fahrt hörten wir immer wieder heftige Explosionen und sahen in der Ferne aufsteigenden Rauch. Unterwegs wurden wir an diversen Check-Points angehalten und kontrolliert. Solche Flüchtlingsbusse werden regelmässig von beiden bewaffneten Seiten angegriffen und ausgeraubt. Wir hatten aber Glück und erreichten unversehrt die libanesische Grenze.
Wir hörten auch viele Geschichten von Vergewaltigungsfällen. Es ist kaum in Worte zu fassen, was diese Menschen gesehen und erlebt haben. Der Schmerz und die Bilder des Krieges werden sie ein Leben lang begleiten. Sie haben nur noch einen Wunsch, DAS ENDE DES KRIEGES!
„Wir wollen zurück nach Hause, zu unseren Freunden und Verwandten, in unsere Heimat, in unsere eigenen vier Wände. Wir möchten morgens mit einem Lächeln im Gesicht, ohne Sorgen und ohne Angst aufstehen. Wir möchten unseren Kindern zusehen, wie sie in Frieden aufwachsen, zur Schule gehen und studieren. Das Leid muss endlich ein Ende haben!“

 

 

 

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